Gedichte und Zitate

  • Ein stummer Hilferuf am Straßenrand.


    Wenn ich so durch fremde Städte gehe, mag ich es Schilder zu lesen. Firmenschilder, Hinweisschilder, Verbotsschilder, allesamt Teil unserer öffentlichen Wahrnehmung.

    So auch letzten Sonntag als ich über das Schild eines Arztes gestolpert bin: Heinrich X, praktischer Arzt, Traditionelle Heilmethoden. Ach, dachte ich, daß ist ja praktisch,wenn ich mal wieder Bock auf einen Aderlass habe und Blutegel wird er auch haben zum ansetzen.

    Dann widmete ich mich weiteren Überlegungen was wohl hier in Europa unter traditionellen Methoden zu verstehen sei. Kamillentee und frische Luft bei Tuberkulose?

    Macht er auch noch traditionelle Geburtshilfe, so mit einer Säuglingsterblichkeit von 0,3 und Müttersterblichkeit von 0,3 bis 0,6, je nach Alter der Mutter? Aus dem Mund des Bürgermeisters: "Auf unserem Friedhof ist der Doktor ein gerne gesehener Belegarzt."

    Warum bietet jemand so eine Dienstleistung an? Sein Schild interpretiert heißt doch: praktischer Arzt = ärztliche Zulassung ohne weitere Fachausbildung, keine Promotion, nicht einmal ein billiger Dr. med.. Er hat sein Studium gerade mal so geschafft, für weitere Karrierebausteine ist er entweder zu blöd, hat keine Beziehungen, keinen familiären Hintergrund und kein Geld. Moderne Medizin überfordert ihn. Im Prinzip ist er ein verzweifelter Spieler, nur dass er nicht mit Geld spielt, sondern mit der Hoffnung seiner Patienten.

    H.O.

  • Ach, was soll der Mensch verlangen?

    Ist es besser, ruhig bleiben?

    Klammernd fest sich anzuhangen?

    Ist es besser, sich zu treiben?

    Soll er sich ein Häuschen bauen?

    Soll er unter Zelten leben?

    Soll er auf die Felsen trauen?

    Selbst die festen Felsen beben.


    Eines schickt sich nicht für alle!

    Sehe jeder, wie er's treibe,

    Sehe jeder, wo er bleibe,

    Und wer steht, dass er nicht falle!

    (Goethe)

  • So wie das...


    Hab oft einen dumpfen, düstern Sinn,

    Ein gar so schweres Blut!

    Wenn ich bei meiner Christel bin,

    Ist alles wieder gut.

    Ich seh sie dort, ich seh sie hier

    Und weiß nicht auf der Welt,

    Und wie und wo und wann sie mir,

    Warum sie mir gefällt.


    Das schwarze Schelmenaug dadrein,

    Die schwarze Braue drauf,

    Seh ich ein einzig Mal hinein,

    Die Seele geht mir auf.

    Ist eine, die so lieben Mund,

    Liebrunde Wänglein hat?

    Ach, und es ist noch etwas rund,

    Da sieht kein Aug sich satt!


    Und wenn ich sie denn fassen darf

    Im luft'gen deutschen Tanz,

    Das geht herum, das geht so scharf,

    Da fühl ich mich so ganz!

    Und wenn's ihr taumlig wird und warm,

    Da wieg ich sie sogleich

    An meiner Brust, in meinem Arm;

    's ist mir ein Königreich!


    Und wenn sie liebend nach mir blickt

    Und alles rund vergißt,

    Und dann an meine Brust gedrückt

    Und weidlich eins geküßt,

    Das läuft mir durch das Rückenmark

    Bis in die große Zeh!

    Ich bin so schwach, ich bin so stark,

    Mir ist so wohl, so weh!


    Da möcht ich mehr und immer mehr,

    Der Tag wird mir nicht lang;

    Wenn ich die Nacht auch bei ihr wär,

    Davor wär mir nicht bang.

    Ich denk, ich halte sie einmal

    Und büße meine Lust;

    Und endigt sich nicht meine Qual,

    Sterb ich an ihrer Brust!

    (Goethe)

  • "Der Einfältige aber ist ohne Arg gegen sich selbst; er dünkt sich gewaltig gescheit, und daher die beneidenswerte Genügsamkeit, mit der sich Beschränkte in ihrer eigenen Geistesarmut zur Ruhe setzen. Wie jene Insekten, die man auf keine Weise aus ihren Löchern ausräuchern kann, läßt sich der Dumme nicht aus seiner Dummheit werfen; unmöglich, ihn ein Weilchen ohne Scheuklappen umherzuführen und ihn zu zwingen, daß er sein dumpfes Weltbild mit anderen feineren Arten des Sehens zusammenhält. Dummheit ist lebenslänglich und hoffnungslos. Darum meinte Anatole France, sie sei verhängnisvoller als Bosheit; denn Bosheit setzt manchmal aus, Dummheit nie."

    (José Ortega y Gasset)

  • "Juden und Heiden hinaus!" so duldet der christliche Schwärmer.

    "Christ und Heide verflucht!" murmelt ein jüdischer Bart.

    "Mit den Christen an Spieß und mit den Juden ins Feuer!"

    Singet ein türkisches Kind Christen und Juden zum Spott.

    Welcher ist der Klügste? Entscheide! Aber sind diese

    Narren in deinem Palast, Gottheit, so geh ich vorbei.

    (Goethe)

  • "Die uns zur Dienstleistung zugeteilten Mannschaften eines preussischen Feldlazaretts beschweren sich eines Tages, dass sie so wenig Marmelade erhalten. Sie stossen sich wie alle Preussen an der bayrischen Kost. Woher kommt diese scheinbare Benachteiligung? Wir Bayern wissen, das es bei den bayrischen Proviantämtern lange nicht so viel Marmelade gibt wie bei den preussischen, und wir Bayern empfangen dann, wenn auf dem Speisezetttel des Proviantamtes 125 Gramm Marmelade oder .... steht, bestimmt keine Marmelade, sondern Fett oder Wurst. Das Marmeladeessen mussten die Bayern überhaupt erst im Krieg lernen. Im Frieden ist die Marmelade im Lande Bayern nur als Kindernahrung bekannt gewesen, denn wo zu jeder Mahlzeit Bier gehört, da passt bestimmt keine Marmelade. Den Preussen fällt es aber gar nicht ein, sich einmal anderen Verhältnisse anzupassen, sie beschweren sich.


    F. Obermeyer, Kriegstagebuch eines Bayr. Lazarettinspektors im 1. Weltkriege

  • "Das Bundesverfassungsgericht hat stets die überragende Bedeutung der Meinungsfreiheit hervorgehoben. Sie sei für eine freiheitliche Staatsordnung "schlechthin konstituierend". Dabei seien nicht nur wertvolle, sondern auch falsche, ja verwerfliche Meinungen geschützt. In der Tat wäre es absurd, wenn der Staat festschriebe, für welche Meinungen die Meinungsfreiheit gilt. Genau dies tut er aber im neuen Paragraphen 130 III StGB. Der Gesetzgeber gibt historische Tatsachen wieder und verbietet bei Strafe, nicht nur, sie zu leugnen, sondern auch, sie anders zu bewerten, nämlich zu verharmlosen. (...) Wer aber mit dem Strafrecht kommt, begeht einen gefährlichen Weg. Er gefährdet die geistige Freiheit."

    (Süddeutsche Zeitung, 8. Oktober 1998)