Mandat des deutschen Bundestages für den Einsatz in Afghanistan

  • Deutscher Bundestag Drucksache 12/632

    19. Wahlperiode 05.08.2017



    Antrag

    der Bundesregierung



    Neuaufnahme der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2470 (2017) vom 10. Juli 2017 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.



    Der Bundestag wolle beschließen:


    Der Deutsche Bundestag stimmt der von der Bundesregierung am 5. August 2017 beschlossenen Neuaufnahme Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) zu.

    Die hierfür vorgesehenen Kräfte können eingesetzt werden, solange eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages vorliegen.

    Auftrag

    Gemäß UN Sicherheitsratsresolution 22470 (2017) vom 10. Juli 2017 hat der ISAF-Einsatz zum Ziel, die Zivilbevölkerung zu schützen und erneut zum Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Dabei stehen insbesondere die Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte im Mittelpunkt. Diese sind so zu befähigen, dass sie spätestens Ende 2030 die vollständige Sicherheitsverantwortung in Afghanistan wahrnehmen können.


    Im Rahmen des ISAF-Einsatzes ergeben sich daraus für die Bundeswehr insbesondere die folgenden Aufgaben:

    1. Unterstützung der Regierung von Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit, auch und besonders zum Schutz der Bevölkerung;
    2. Unterstützung bei der Reform des Sicherheitssektors, insbesondere Unterstützung des Aufbaus funktionsfähiger afghanischer Sicherheitskräfte durch Ausbildung, Beratung, Unterstützung und Ausrüstungsunterstützung;
    3. Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte bei der Sicherung des Arbeitsumfeldes des Personals, das zur weiteren Unterstützung der Stabilisierung und des Wiederaufbaus und zur Vollendung des Übergangsprozesses von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, den Vereinten Nationen und internationalen Hilfsorganisationen eingesetzt wird;
    4. Mitwirkung an der Führung von ISAF in Afghanistan, einschließlich eines Beitrages bei der Erstellung eines Lagebildes;
    5. Mitwirkung bei der Luftnahunterstützung
    6. Mitwirkung an der boden- und luftgestützten Koordinierung des afghanischen Luftraumes;
    7. Verwundetenlufttransport (AIRMEDEVAC);
    8. Sicherung und im Bedarfsfall Evakuierung militärischer und ziviler Kräfte;
    9. Beitrag zur zivil-militärischen Zusammenarbeit;

    Die Verantwortung für die Drogenbekämpfung liegt bei der afghanischen Regierung. Deutsche Streitkräfte unterstützen sie dabei gemäß dem am 22. April 2005 den beteiligten Ausschüssen des Deutschen Bundestages zugeleiteten Bericht der Bundesregierung „Deutscher Beitrag zur Drogenbekämpfung in Afghanistan“.



    Ermächtigung zu Einsatz und Dauer

    Die Bundesministerin der Verteidigung wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Auswärtigen für die weitere deutsche Beteiligung an ISAF in Afghanistan die in Nummer 6 genannten Kräfte und Fähigkeiten im Rahmen der Beschlüsse des NATO-Rates und der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen einzusetzen. Das Mandat läuft am 31. Dezember 2018 aus.


    Einzusetzende Kräfte und Fähigkeiten

    Für die deutsche Beteiligung an ISAF in Afghanistan werden Bundeswehrgemeinsam folgende Leistungen sowie militärische Fähigkeiten bereitgestellt:

    1. Beratung, Ausbildung, und Ausrüstungsunterstützung;
    2. Stabilisierung, Sicherung, Schutz und ggf. Evakuierung;
    3. Führung;
    4. Führungsunterstützung;
    5. logistische und sonstige Unterstützung einschließlich Transport, Umschlag und Rückverlegung;
    6. sanitätsdienstliche Versorgung einschließlich des Verwundetenlufttransports;
    7. Aufklärung und Überwachung, einschließlich abbildende Aufklärung und Überwachung aus der Luft sowie Auswertung;
    8. zivil-militärische Zusammenarbeit einschließlich humanitärer Hilfs- und Unterstützungsdienste;
    9. Anteile der Bundeswehr an den Fähigkeiten des NATO-AWACS Verbandes zur luftgestützten Luftraumüberwachung und -koordinierung.

    Weiterhin werden Kräfte zur Verwendung in den mit der Führung der ISAF-Operation beauftragten Stäben und Hauptquartieren einschließlich der Kräfte zur Unterstützung der Führungsfähigkeit eingesetzt.


    Status und Rechte

    Status und Rechte der ISAF richten sich nach den zwischen der NATO und der Regierung von Afghanistan getroffenen Vereinbarungen. ISAF ist autorisiert, alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen, um das Mandat der Resolution 2470 (2017) durchzusetzen. Die Wahrnehmung des Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung bleibt davon unberührt. Die im Rahmen dieser Operation eingesetzten Kräfte sind befugt, das Recht auf bewaffnete Nothilfe zugunsten von jedermann wahrzunehmen.


    Einsatzgebiet

    Der Nordatlantikrat hat die Einteilung Afghanistans für den ISAF-Einsatz in die sechs Regionen Kabul, Nord, West, Süd und Ost festgelegt. Diese orientieren sich an den afghanischen Provinzgrenzen. Zur ISAF-Region Nord zählen die Provinzen Faryab einschließlich des Distrikts Ghormach, Sar-e Pul, Jowzjan, Balkh, Samangan, Baghlan, Kunduz, Takhar und Badakhshan und zusätzlich aus dem RC West übernommen die Provinz Badghis.


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    Deutsche Streitkräfte werden in den ISAF-Regionen Kabul und Nord eingesetzt. Darüber hinaus können sie in anderen Regionen für zeitlich und im Umfang begrenzte Maßnahmen eingesetzt werden, sofern diese Maßnahmen zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrags erforderlich sind. Die Mitwirkung an der Führung des ISAF-Einsatzes ist hiervon nicht berührt.


    Darüber hinaus können im gesamten Verantwortungsbereich von ISAF deutsche Beiträge zur Führung und Durchführung von Informations- und Fernmeldeeinsätzen, zum Einsatz von NATO-AWACS, zum ISAF-Lufttransport, einschließlich Verwundetenlufttransport (AIRMEDEVAC) sowie an Einrichtungen zur Erstellung eines Lagebildes, die aufgrund der Reduzierung der Kräfte nur noch zentral eingerichtet sind (z. B. die Laboreinrichtung zur Auswertung von Vorfällen mit improvisiert hergestellten Sprengvorrichtungen – ACME, in Bagram) geleistet werden. Das Gebiet anderer Staaten kann für Zugang und Versorgung mit Zustimmung des jeweiligen Staates nach Maßgabe der mit ihm getroffenen Vereinbarungen genutzt werden. Im Übrigen richten sich Transit und Überflugrechte nach den bestehenden nationalen und internationalen Bestimmungen.


    Personaleinsatz

    Für die Beteiligung an ISAF in Afghanistan werden bis zu 6 700 Soldatinnen und Soldaten mit entsprechender Ausrüstung eingesetzt. Im Rahmen von ISAF kann der Einsatz von deutschem Personal in Kontingenten anderer Nationen sowie der Einsatz von Personal anderer Nationen im Rahmen des deutschen Einsatzkontingents ISAF auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen und in den Grenzen der für Soldatinnen und Soldaten des deutschen Kontingents bestehenden rechtlichen Bindungen genehmigt werden. Deutsche Soldatinnen und Soldaten, die im Rahmen von Austauschprogrammen bei den Streitkräften anderer NATO-Nationen dienen, verbleiben in ihrer Verwendung und nehmen auf Ersuchen der Gastnation an Einsätzen ihrer Streitkräfte im Rahmen von ISAF in Afghanistan teil. Es können eingesetzt werden:

    1. Berufssoldatinnen und Berufssoldaten;
    2. Soldatinnen auf Zeit und Soldaten auf Zeit.

      Aufgrund freiwilliger Verpflichtung für besondere Auslandsverwendungen:
    3. Freiwillig Wehrdienst Leistende;
    4. Reservistinnen und Reservisten, die ihre Bereitschaft erklärt haben, an besonderen Auslandsverwendungen teilzunehmen.

    Während Kontingentwechseln darf die Personalgrenze vorübergehend überschritten werden. Bei dem Einsatz handelt es sich um eine besondere Auslandsverwendung im Sinne des § 56 des Bundesbesoldungsgesetzes und § 63c des Soldatenversorgungsgesetzes.


    Begründung

    Afghanistan hat sich in der vergangenen Dekade trotz einiger Rückschläge positiv entwickelt. So wurden beim zivilen Wiederaufbau des Landes nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs sichtbare Fortschritte erzielt. Den meisten Afghanen geht es heute deutlich besser. Mehr Menschen als jemals zuvor haben heute Zugang zu Wasser und Strom, zu ärztlicher Versorgung und zu Bildung und nehmen diese Entwicklungsperspektiven wahr. Die Lebenserwartung ist deutlich angestiegen, Mütter- und Kindersterblichkeit konnten signifikant reduziert werden. Zahlreiche Straßen, Brücken, Bewässerungskanäle und andere zerstörte Infrastruktur wurden rehabilitiert oder neu gebaut und erhebliche, wenn auch noch nicht ausreichende Fortschritte beim Aufbau von Verwaltung und rechtsstaatlichen Strukturen erzielt.


    Mit der Frühjahrsoffensive der Taliban im März 2017 wurden diese Strukturen sehr stark zurück gedrängt. Der Einfluss Regierung, ANSF ist aktuell nur noch in und um die Hauptstadt Kunduz sowie einzelnen Distrikthautptstädten wie Masar-i-Scharif, Herat oder Kandahar gegeben. Restliche Teile Afghanistans sind an die Taliban oder lokale Aufständische gefallen. Auffällig hierbei ist die massive Verringerung der Stärke der ANSF seit dem Oktober 2016. Stand Oktober 2016 betrug die Stärke der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF; Afghan National Security Forces) mehr als 350 000 Soldaten und Polizisten. Aktuell wird die Stärke von der Afghanischen Regierung noch mit 150 000 Soldaten und Polizisten angegeben. Gleichzeitig muss von Ungenauigkeiten bei der Zählung ausgegangen werden. Daher soll, durch den Sicherheitsrat im Eilverfahren,unter Führung der NATO die Resolution 2470 (2017) vom 10. Juli 2017 umgesetzt werden, und die ausgelaufene Mission ISAF erneut aufgenommen werden.


    Trotz der massiven Aufwendungen während der ISAF Mission von 2002 bis 2014 und der nachfolgenden Mission Resolute Support, konnte das Land nicht vollständig stabilisiert werden. Es wird davon ausgegangen, dass der damalige Abzug und die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF; Afghan National Security Forces) verfrüht durchgeführt wurde. Durch Koruption, Bestechungen und fehlverwendungen von Mitteln wurden die ANSF weitgehend geschwächt. Daher besteht auch aufgrund des raschen Vormarsches der Taliban in allen Bereichen noch erheblicher Handlungsbedarf. Zu nennen sind hier die weitere Qualifizierung des Führungspersonals sowie die Hilfe bei der Überwindung von Defiziten der afghanischen Nationalarmee (ANA; Afghan National Army) in den Bereichen Feuerunterstützung, Kampfmittelabwehr, sanitätsdienstliche Versorgung, Lufttransport, Aufklärung, Logistik und Materialerhaltung.

    Voraussetzungen für eine nachhaltig positive Entwicklung sind die kontinuierliche weitere Begleitung der Ausbildung und die fortgesetzte Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Die erneute Aufnahme der ISAF-Mission erfolgt in dem gemeinsamen Verständnis von Afghanistan und der internationalen Gemeinschaft. Deutschland ist grundsätzlich bereit, als sogenannte Rahmennation im Norden und als einer der größten Truppensteller besondere Verantwortung zu übernehmen, die sich aus unserer besonderen Verbundenheit mit dem afghanischen Volk und unserem festen Willen zur Bewahrung des in fünfzehn Jahren Afghanistan-Einsatz Erreichten herleitet. Deutschland knüpft seine grundsätzliche Bereitschaft zu einer Beteiligung an der ISAF Mission dabei an konkrete Voraussetzungen wie eine förmliche Einladung durch die Regierung von Afghanistan, ein NATO-Afghanistan-Truppenstatut, eine Sicherheits- und Stabilitätslage, die das fortgesetzte Engagement erfordert, und insbesondere die hinreichende Beteiligung multinationaler Partner mit substanziellen Fähigkeiten. Die Beteiligung deutscher Soldaten stünde unter dem Vorbehalt der konstitutiven Zustimmung durch den Deutschen Bundestag.



    Im Kontext der bevorstehenden erhöhten militärischen Präsenz kommt der Entwicklungszusammenarbeit und dem zivilen Aufbau eine besondere Rolle bei der weiteren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung Afghanistans zu. Deutschland wird dabei bis mindestens 2020 weiterhin jährlich bis zu 600 Mio. Euro im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan investieren.


    Trotz der bisherigen, positiven Erfahrungen wird die Bundesregierung die Personalsicherheit der Mitarbeiter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auch weiterhin durch ein eigenes Risikomanagement und eine enge Abstimmung im Rahmen des vernetzten Ansatzes der Bundesressorts bestmöglich sicherstellen. Dies schließt auch militärische Fähigkeiten im Rahmen des bestehenden ISAF-Auftrages (In-Extremis-Support) mit ein.


    Die Bundesregierung ist weiterhin der Überzeugung, dass nur ein afghanisch geführter Friedens- und Versöhnungsprozess Stabilität für Afghanistan und die Region bringen kann. Am Ende dieses Prozesses müssen alle Seiten, neben dem Verzicht auf Gewalt und dem vollständigen Bruch mit dem internationalen Terrorismus, vor allem die afghanische Verfassung anerkennen.